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BVMI: 10 Thesen gegen die Kulturflatrate

26.01.10 Die Musikindustrielobby schlägt mit wackeligen Thesen zurück

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Zum Thema Kulturflatrate hat sich der Bundesverband der Musikindustrie (BVMI) mit einem Positionspapier zu Wort gemeldet und sich dagegen ausgesprochen. BMVI Geschäftsführer Stefan Michalk fasst die Ablehnung der Kulturflatrate gegenüber der Welt zusammen.

"Was von den Befürwortern als Lösung aller Probleme gesehen wird, wäre letztlich nichts anderes als die Kapitulation der Politik vor der Komplexität des Urheberrechts in der digitalen Welt"

Anhand von zehn teilweise wackeligen Thesen fordert der Verband, dass die Idee als auch die Umsetzung dieser Flatrate wieder in den Schubladen verschwindet und die bestehenden Marktmechanismen weiterhin zum Tragen kommen. Wackelig weil Aussagen, wie Die Kulturflatrate führt zu einer Entwertung des geistigen Eigentums oder Die Flatrate entzieht den neuen digitalen Geschäftsmodellen die ökonomische Basis nicht belegt werden können.

Der Begriff geistiges Eigentum wird taktisch mißbraucht und die zweite Unterstellung ist nonsens, denn noch wurde die Kulturflatrate nicht einmal gestestet und der Beweis dafür erbracht, dass iTunes & Co. wirklich ihre Türen schliessen müssen, weil dann niemand mehr Musik kauft. Anstatt schlagkräftiger Argumente vorzubringen, skizziert der Verband lieber ein düsteres Szenario und beklagt die Entwertung von Musik, eine Entrechtung der Kreativen und somit den Untergang der kulturellen Vielfalt.
Aber lesen sie selbst, wie der BVMI seine Abneigung im Einzelnen untermauert.

1. Die Kulturflatrate ist unfair, weil Verbraucher für etwas bezahlen, was sie gar nicht nutzen.
Heute kann der Konsument nach persönlichen Vorlieben entscheiden, ob er sein Geld lieber für Musik, Filme, Bücher oder andere Kulturprodukte ausgibt. Dabei kann er bereits heute wählen, ob er einen einzelnen Song kaufen möchte oder lieber ein Musikabonnement abschließt. Mit der Kulturflatrate hat das ein Ende. Denn sie ist – ähnlich wie die GEZ – eine Zwangsabgabe, mit der Verbraucher für etwas bezahlen müssen, dass sie unter Umständen gar nicht nutzen.

2. Die Kulturflatrate entzieht gerade den neuen digitalen Geschäftsmodellen die ökonomische Basis.
Die Kultur- und Kreativwirtschaft arbeitet mit Hochdruck am Aufbau neuer, digitaler Geschäftsmodelle. Die Kulturflatrate würde diese Anstrengungen torpedieren. Wenn im Internet Musik, Filme oder Bücher bei Zahlung einer Pauschalabgabe ohne Schranken frei verfügbar sind, gibt es für Konsumenten keinen Grund mehr, die bestehenden legalen, kostenpflichtigen Angebote zu nutzen. Die ohnehin schon risikoreichen Investitionen bleiben aus, weil man mit „kostenlos“ nicht konkurrieren kann.

3. Die Kulturflatrate führt zu einer unverhältnismäßig hohen Belastung aller Konsumenten und benachteiligt sozial Schwache.
Mit fortschreitender Digitalisierung und zunehmendem Ausbau der Bandbreiten sind immer mehr Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft vom unrechtmäßigen Gebrauch ihrer Produkte betroffen. Eine Kulturflatrate müsste mittelfristig nicht nur Musik, Filme oder Bücher erfassen, sondern würde alle Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft betreffen. Nach Schätzungen der Bundesjustizministerin kämen auf jeden Verbraucher mit Internetanschluss zusätzliche Kosten in Höhe von 50 Euro pro Monat zu. Gerade sozial Schwache können sich das nicht leisten.

4. Die Kulturflatrate erfordert den Aufbau eines gigantischen Bürokratie- und Verwaltungsapparates.
Ließ sich die Erhebung einer Kulturflatrate noch vergleichsweise einfach organisieren, fangen die Probleme bei der Verteilung der Gelder erst richtig an. Schon heute beschäftigen Verwertungsgesellschaften Heerscharen von Mitarbeitern für die Erfassung, Bewertung und Verteilung von Lizenzeinnahmen. Die Kulturflatrate würde diesen Verwaltungsaufwand gigantisch erhöhen. Während der Kulturflatrate viele attraktive Arbeitsplätze bei Labels, Verlagen oder Filmproduktionen zum Opfer fallen würden, schafft sie gleichzeitig tausend langweilige für die Verwaltung und Verteilung. Schöne neue Kreativarbeitswelt.

5. Die Kulturflatrate verflacht die Kultur.
Bei der Kulturflatrate ist ein Song aus dem Computer genauso viel wert wie Beethovens Neunte, ein Pornofilm das gleiche wie ein cineastisches Meisterwerk und der Groschenroman steht auf einer Ebene mit dem literarischen Klassiker. Weil für die Abrechnung nur die Masse der Downloads zählt, entfällt jeder Anreiz Zeit und Geld in Nischenprodukte zu investieren. Die kulturelle Vielfalt nimmt ab. Die Kultur verflacht.

6. Die Kulturflatrate nimmt Urhebern und Künstlern das Recht über die Verwendung ihrer Werke selbst zu bestimmen.
Heute können Urheber, Künstler, Autoren und andere Rechteinhaber frei darüber entscheiden, wie und wo ihre Werke und Produkte verwendet werden dürfen. Sind im Internet alle Kulturgüter auch nur für den nicht kommerziellen Gebrauch frei nutzbar, kommt dies einer Enteignung der Rechteinhaber gleich. Denn wenn die Kulturflatrate Sinn haben soll, hat der Konsument keine Möglichkeit mehr zu unterscheiden, was legal und was unter Umständen illegal ist. Dementsprechend kann der Rechteinhaber sich auch nicht mehr dagegen wehren, wenn er nicht will, dass seine Produkte im Netz frei verfügbar sind.

7. Die Kulturflatrate widerspricht den ökonomischen Prinzipien unserer Gesellschaft.
Bestehende, markwirtschaftliche Prinzipien in der Kultur- und Kreativwirtschaft haben eine einzigartige kulturelle Vielfalt hervorgebracht. Wesentlicher Bestandteil einer freien Marktwirtschaft ist, dass der Produzent über die Verwertung seiner Produkte frei entscheiden kann. So kann er beispielsweise über den Preis frei entscheiden. Diese grundlegenden Prinzipien werden durch die Kulturflatrate außer Kraft gesetzt, denn mit der Einführung der Kulturflatrate wird privates geistiges Eigentum zum öffentlichen Gut. Die Kulturflatrate ist die Verstaatlichung der Kultur- und Kreativwirtschaft.

8. Die Kulturflatrate verstößt gegen international geltendes Urheberrecht. Die Kulturflatrate verstößt gegen wesentliche Prinzipien des international geltenden Urheberrechts. Gerade aber weil sie Probleme lösen soll, die erst durch das globale Medium Internet entstanden sind, ist sie als nationaler oder europäischer Alleingang völlig untauglich.

9. Die Kulturflatrate führt zu einer Entwertung des geistigen Eigentums.
Durch Flatrates geht beim Konsumenten das Gefühl für den Wert individueller, kreativer Leistung verloren. Was beim Telefonanschluss oder Internetzugang sinnvoll sein mag, taugt nicht als ökonomisches Prinzip zur Erreichung von kulturellen Höchstleistungen.

10. Die Kulturflatrate wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.
Die Digitalisierung und das Internet haben die Komplexität des Urheberrechts enorm erhöht. Da erscheint die Kulturflatrate – ähnlich wie die Steuerreform auf dem Bierdeckel – als einfache Lösung einer zunehmend komplexer werdenden Welt. Aber der Schein trügt. Wer soll ihre Höhe festlegen? Wer legt fest, was ein Buch, ein Film, ein Musikstück oder ein Foto wert ist? Wer entscheidet über die Verteilung innerhalb der einzelnen Bereiche der Kreativwirtschaft? Wie soll die Nutzung gemessen werden, ohne beispielsweise den Internetverkehr zu überwachen und damit datenschutzrechtliche Fragen aufzuwerfen? Welche Institution soll die Gelder verteilen? Wie bleiben die Eigentumsrechte der Urheber und Leistungsschutzrechtinhaber gewahrt? Wo sollen in Zukunft die Anreize für Investitionen in junge Talente herkommen? Wer entscheidet darüber wer Künstler und was Kunst  ist und wer kein Künstler und was nicht Kunst ist? Wer soll an ihr beteiligt werden, nur die Urheber und Künstler oder auch Labels, Verlage und Produzenten? Die Liste dieser Fragen ließe sich endlos weiterführen. Stellt man sie den Befürwortern der Kulturflatrate, erntet man meist nur ein müdes Achelzucken. Bis sie beantwortet sind, bleibt die Kulturflatrate nur Floskel ohne Inhalt und kein nachhaltiges Konzept für eine zukunftsfähige Kultur- und Kreativwirtschaft.

Damit lässt der Verband kein gutes Haar an der Kulturflatrate und bedient sich dabei typischer Klischees. Man warnt vor einer "Zwangsabgabe", die vor allem einen "gigantischen Bürokratie- und Verwaltungsapparat" finanziert. Die viel beschworene kulurelle Vielfalt wird untergehen, neue Geschäftsmodelle ebenfalls. Sozial schwache Konsumenten werden benachteiligt, während die Kreativen entrechtet und das geistige Eigentum damit entwertet wird. Insbesondere die fünfte These Die Kulturflatrate verflacht die Kultur und deren Begründung schreit zum Himmel. Warum soll ein "Songs aus dem Computer" nicht den gleichen kulturellen Stellenwert besitzen wie Beethovens Neunte? Wer entscheidet denn darüber was kulturell relevant ist und was nicht. Der BVMI?

Mit diesem Schwarz/Weiß-Denken – bestehende ökonomische Prinzipien sind ganz toll für die Kreativen als auch für die Konsumenten vs. Kulturflatrate ist schlecht für die Wirtschaft und Kultur bezieht der Verband eine eindeutige Position, auf die gulli bereits mit eigenen Statements geantwortet hat.

Damit kommt die Diskussion um ein Für-und Wider der Kulturflatrate wieder in Schwung. Das Positionspapier wandert zur Zeit durch die Twitterwelt und wird wohl noch einige Reaktionen nach sich ziehen. Ob eine Anäherung bzw. eine konstruktiver Dialog zwischen Befürwortern und Gegner damit in Gang gesetzt wird, bezweifle ich. Die Flatrate ist zwar wieder in aller Munde, ihre Umsetzung jedoch rückt dank Druck von einer allzumächtigen und rückwärtsgewandten Musikindustrielobby wohl in weite Ferne.

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4 Kommentare für “BVMI: 10 Thesen gegen die Kulturflatrate”

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