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Lesetipp: Wie Neues im produktiven Handeln entsteht
14.12.09 Diplomarbeit zum Thema Produzenten und ihre sinnstiftenden Motive
von Jörn Goetze ⋅ kommentieren
Jahn Michael Kühn, seines Zeichens DJ und Gründer der WebTV und Radiosendung "Berlin Mitte Instituts für Bessere elektronische Musik" hat sich in seiner Diplomarbeit die Frage WIE ENTSTEHT NEUES BEI DER PRODUKTION ELEKTRONISCHER TANZMUSIK? gestellt.
Ausgehend von der soziologischen Definition des Neuen, und deren Einfluss auf die Kultur untersucht Kühn die Techno-Szene als post-traditionale Vergemeinschaftung.
Im Herzstück seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt sich der Berliner mit der Produktion von House/Techno im Homerecording-Studio. Hierbei beobachtete und befragte Kühn sechs Produzenten der Techno-Szene hinsichtlicher der Produktionsmittel, Praktiken und die Bedeutung des Schaffensprozeßes.
Zwar existieren keine umfassenden Daten über das Ausmaß der Produktion und Konsumption von elektronischer Dance Music als auch über die Anzahl verkaufter Tonträger, doch Kühn erschließt den Konsum von Techno und House indirekt.
In Berlin beschäftigten sich 2008 demnach “über 31 % aller Musikunternehmen mit elektronischer Musik.” Desweiteren ergaben empirische Erhebungen, dass ca. 650 Netlabel betrieben werden, von denen 90% elektronische Musik veröffentlichen.
Anfang 2009 existierten laut DiscoMagazin deutschlandweit 5000 bis 6000 Clubs und Diskotheken. Auch hinsichtlich der Musikpräferenzen ist elektronische Dance Music bei 14-29 Jährigen zu grossen Teilen beliebt.
Für Produzenten (meist “multiple Künstlerexistenzen”) spielen jedoch auch andere Faktoren als der Verkauf und die öffentliche Wertsteigerung ihrer Tracks eine sinnstiftende Rolle.
"Für Musikproduzenten bedeutet die Schaffung von Musik also nicht nur die funktionale Produktion von Musik in dem Sinne, dass am Ende ein fertiger Musiktrack geschaffen wurde, den sie verkaufen können und der ihren öffentlichen Wert steigert. Die Musikproduktion geschieht auch, um ihr intellektuelles und emotionales Schaffensbedürfnis („need to create“) zu befriedigen und seelische Befriedigung („cathar- sis“) zu erlangen. Die Erfahrung kreativ zu sein ist eine belohnende Erfahrung."
In der lesenwerten Diplomarbeit kommt Kühn zu folgenden Schluss:
"Mit meinen Ergebnissen kann ich zeigen, dass das Neue bzw. der neue House/Tech-
no-Track als Gesamtes aller geschaffenen Einzelleistungen ein konstellatives Produkt
von hauptsächlich 3 Komponenten darstellt:
(1.) Die Gestaltung des Tracks anhand- von Klangdesign, Arrangementdesign und Trackdesign durch Orientierung an sinnstiftenden und strukturierenden Genres, Produktionstechniken und typischen Produktionsmustern, (2.) die technische Ermöglichung der Musikproduktion mithilfe von Computern und spezieller Musikstudio-Software im Homerecording-Studio, und
(3.) der existierenden Techno-Szene mit ihrer sinnstiftenden und strukturierenden
internationalen Infrastruktur und ihrem wirtschaftlichen Verwertungsrahmen. "
Die Methode der Mikroperspektive, "wie Neues im Handeln entsteht" ist Kühn mit seiner Diplomarbeit durchaus gelungen. Obwohl seine Untersuchung und Befragung der Produzenten zwar mit Vorbehalt betrachtet werden müssen, erarbeitet Kühn einen interessanten Ansatz, der auch auf andere kreative Gebiete des Schaffens angewandt werden kann.
Die Diplomarbeit WIE ENTSTEHT NEUES BEI DER PRODUKTION ELEKTRONISCHER TANZMUSIK? kann auf der Website des Berlin Mitte Institut als kostenfreie PDF geladen (siehe Link ganz oben) werden.
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